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17.10.2023
Experteninterview
ZNAPP hat mit Inklusionstrainerin Claire Common über Chancen im Bereich Inklusives Recruiting gesprochen. Herausgekommen ist ein tolles Interview mit vielen praktische Tipps wie Unternehmen ihr Recruiting inklusiver gestalten und vom Potential diverser Teams profitieren können.

ZNAPP: Status Quo: Claire, wie weit sind wir in 2023 in Bezug auf die Inklusion im Arbeitsleben? Wie sind deine Erfahrungen als Inklusionstrainerin?

Claire: Sagen wir es so: Es kann sich gerne noch einiges ändern!

Es gibt schon tolle unternehmerische Vorbilder, die Inklusion wirklich leben und für selbstverständlich erachten. Doch leider gibt es über 106.000 Unternehmen, die eine Ausgleichsabgabe zahlen. Das bedeutet, sie zahlen eine Abgabe, da sie keine Person mit Behinderung eingestellt haben bzw. weniger als 5% der Mitarbeiter eine Behinderung haben. Diese Regelung betrifft Unternehmen ab einer Mitarbeiterzahl von 20 Personen.

Auch die Zahlen bezüglich verschiedener Gender, Altersgruppen und Migrationsgeschichten in Teams zeigen, dass hier noch Luft nach oben ist. Vor allem in den Führungsebenen!

Zudem sehe ich sehr oft, dass das Potenzial von einem inklusiven Team noch nicht vollständig erkannt wurde, sondern Inklusion und Diversität als Forderung empfunden werden, nicht als Chance.

ZNAPP: Wie können Unternehmen den Bewerbungsprozess von Anfang an inklusiver gestalten?

Claire: Als allererstes ist es immer eine Haltungssache, denn wenn ich Inklusion aktiv umsetzen möchte, dann wirkt sich das unterbewusst auf den Bewerbungsprozess aus. Daher sollte man sich eine Strategie erarbeiten, die Inklusion und Vielfalt auch fördert. Stimmt die Einstellung, dann ergeben sich auch die richtigen Maßnahmen, wie ein barrierefreier Prozess oder das aktive Suchen nach diversen Mitarbeitern. Was bedeutet Inklusion? Wie können die ersten Schritte gemacht werden? Sind noch Hemmungen gegenüber bestimmten Themen vorhanden? Gibt es verschiedene Möglichkeiten, sich zu bewerben? Wie ist der Onboarding-Prozess gestaltet?

Am besten geht man einmal den kompletten Prozess durch und fragt sich: Würde ich mich angesprochen fühlen? Würde sich eine Person mit Behinderung angesprochen fühlen? Durch den Perspektivwechsel lernt man einiges über sich selbst und über inklusives Handeln.

ZNAPP: Welche bewährten Methoden würdest du empfehlen, um Vorurteile und Diskriminierung in der Bewerberauswahl zu minimieren?

Claire: Meiner Meinung nach sind das Wiederholungen und Weiterbildung. Dazu gehört auch der direkte Kontakt. Denn umso öfter man Kontakt mit Menschen mit Behinderung oder Migrationsgeschichte hat, desto selbstverständlicher steht der Mensch im Vordergrund. Hier ist es vor allem wichtig, Empathie zu stärken. Mein Schwerpunkt liegt zum Beispiel auf dem Abbau von Berührungsängsten gegenüber Behinderungen und alleine die Tatsache, dass ich das Wort „Behinderung“ immer wieder verwende, führt dazu, dass es kein negatives Wort mehr ist, sondern alltäglich. Wie bei so vielem ist der routinierte Umgang mit einem Thema relevant, damit Vorurteile abgebaut werden. Dabei kann natürlich eine Weiterbildung in Form von Trainings und Coachings helfen, die spielerisch über Hemmungen sprechen und zum Nachdenken anregen. Dazu zählt auch, sich erneut Gedanken über die Unternehmensphilosophie zu machen. Welche Werte vertritt das Unternehmen, spiegeln sich diese in der Bewerberauswahl wider? Oder lässt man sich weiterhin von Bildern und den bloßen Fakten auf den Unterlagen blenden? Daher halte ich sehr viel von stärkenorientierten und modernen Prozessen.

ZNAPP: Welche Rolle spielt die Schulung und Sensibilisierung der Mitarbeiter und Personalverantwortlichen im Rahmen des inklusiven Recruitings?

Claire: Definitiv eine sehr große! Noch immer denken viele, dass Inklusion teuer ist oder dass man gleich das ganze Büro umbauen muss, wenn ein Mitarbeiter mit Behinderung eingestellt wird. Aus diesem Blickwinkel ist es natürlich auch verständlich, dass eine Abwehrhaltung entsteht. Durch eine Schulung kann der Blick auf Langfristigkeit geschärft werden, zumal Statistiken zeigen, dass inklusiv agierende Unternehmen produktiver, innovativer und wirtschaftlich erfolgreicher sind. (https://www.mckinsey.de/news/presse/2020-05-19-diversity-wins)

Und wenn man ehrlich ist, braucht es ab und zu eine externe Person, die einen an stupst und ermutigt neue Wege zu gehen, die schon Erfahrung hat und die einen bei all den neuen Fragen unterstützt. Im Alltagsgeschäft findet sich nämlich nicht immer die Zeit, das Thema eigenständig zu erarbeiten.

ZNAPP: Welche Instrumente oder Technologien können Unternehmen einsetzen, um sicherzustellen, dass Bewerbungsverfahren für Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten zugänglich sind?

Claire: Tatsächlich gibt es schon viele Möglichkeiten, das Verfahren ohne großen Aufwand barrierefrei zu gestalten. Dazu gehört ein digitaler Prozess. Somit kann man es zum Beispiel einer Fachkraft mit Migrationsgeschichte ermöglichen, die Texte zu übersetzen. Und eine blinde oder sehbehinderte Person kann sich die Texte mit einer Sprachausgabe vorlesen lassen. Da sollte man beachten, dass die Website, das PDF oder das Online Bewerbungsverfahren wirklich barrierefrei gestaltet sind. Zudem tritt am 28. Juni 2025 auch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz in Kraft, also weshalb nicht heute schon damit anfangen, die digitalen Wege Schritt für Schritt zu aktualisieren?

ZNAPP: Wie könnten Unternehmen sicherstellen, dass sie die Bedürfnisse und Erwartungen von Bewerbern mit Behinderungen oder anderen Vielfaltsmerkmalen effektiv berücksichtigt?

Claire: Durch ein ehrliches Gespräch und durch eine Inklusionsvereinbarung. Nichts ist wichtiger, als miteinander zu kommunizieren. Ich kenne viele Menschen mit Behinderung, die ständig 150 % geben, weil sie denken, sie müssten ihre Behinderung ausgleichen und im selben Moment haben Führungskräfte Bedenken gleich viel von einem Mitarbeiter mit Behinderung zu fordern, weil noch eine Hemmschwelle besteht. Daher sollte darüber offen gesprochen werden, denn es ist niemandem geholfen, wenn sich der eine Mitarbeiter verausgabt und oft krank wird. Oder ob sich vielleicht ein anderes Teammitglied vernachlässigt fühlt, weil einem Kollege/ einer Kollegin mit Behinderung mehr Aufmerksamkeit gegeben wird.

Und eine Inklusionsvereinbarung bedeutet, grobgefasst, dass gemeinsam konkrete Strategien und Ziele festgesetzt werden. Oft verinnerlicht man diese Ziele und Bedürfnisse besser, wenn sie einmal schriftlich fixiert sind.

ZNAPP: Welche Rolle spielt die Unternehmenskultur bei der Förderung eines inklusiven Arbeitsumfelds, und wie können Personalverantwortliche dazu beitragen?

Claire: Meine Erfahrungen haben gezeigt, dass die größte Rolle die Geschäftsführung spielt. Wird Inklusion nicht von oben gelebt, kann es nicht an die Mitarbeiter weitergegeben werden. Wird Inklusion nur als soziales Engagement gesehen, bleibt es das auch. Doch wird es als Teil der Unternehmenskultur gelebt, so erschafft man einen Ort, an dem jedes Potenzial entfaltet wird. Unterschiede werden gesehen, wertgeschätzt und Erfolg bringend eingesetzt. Dadurch wird das Employer Branding authentisch, divers und inklusiv gestaltet und selbstverständlich gelebt. Offenheit, Ehrlichkeit, Kommunikation und Flexibilität stehen da an oberster Stelle, um Vertrauen zu vermitteln.

ZNAPP: Hast du Tipps oder Empfehlungen für Unternehmen, die gerade erst damit beginnen, inklusives Recruiting in ihre Praktiken zu integrieren?

Claire: Klar, das Vernetzen mit Unternehmen, die Inklusion bereits umsetzen ist wirklich ein Gamechanger. Dadurch erkennt man, welche Vorurteile noch vorhanden sind und wie unbegründet die meisten sind. Man kann sich austauschen und gegenseitig unterstützen. Und meine Lieblingsempfehlung ist die Probebeschäftigung. Viele Unternehmen wissen nicht, dass es diese Möglichkeit gibt. Das bedeutet, wenn eine inklusive Stelle ausgeschrieben wird, dann meldet man das frühzeitig der Agentur für Arbeit, genauer gesagt dem dortigen Rehateam, und man kann eine Probebeschäftigung beantragen. Dadurch kann eine Person mit Behinderung bis zu drei Monaten Probearbeiten und die Geldzuwendung, sprich das Gehalt, wird gefördert. In dieser Zeit kann geschaut werden, ob die Person in das Team passt, wie die anderen Teammitglieder mit der Behinderung umgehen, ob die Stelle oder die Arbeitsbereiche angepasst werden müssen, ob der Arbeitsplatz barrierefrei ist usw.

ZNAPP: Inklusive Stellenanzeigen - Was ist zu beachten, damit sich jede:r angesprochen fühlt?

Claire: Ich persönlich bin gar kein Fan von diesem Copy-and-Paste Satz, dass jede Bewerbung berücksichtigt wird, auch wenn eine Migrationsgeschichte oder Behinderung vorliegt. Grundsätzlich sind die Stellenanzeigen meiner Meinung nach zu standardmäßig. Die Ausschreibung sollte authentisch sein. Warum also nicht ehrlich schreiben, dass das Team bisher noch nicht inklusiv ist, aber man das ändern möchte und sich über BewerberInnen mit Behinderung freut?

Neben der Ehrlichkeit ist auch eine detaillierte Beschreibung der Stelle relevant. Zudem sehe ich oft Stellenanzeigen, die Floskeln und immer die gleiche Wortwahl beinhalten. Teamfähig und belastbar sind passende Beispiele. Teamfähigkeit liegt auch in der Verantwortung des Unternehmens und des bestehenden Teams, nicht nur auf Seiten der BewerberInnen. Und wer definiert Belastbarkeit?

Neben dem Hinterfragen der Wortwahl würde ich auch immer kurze Sätze und leichte Sprache empfehlen.

Doch noch viel wichtiger ist, dass in der Beschreibung auch die bestehende Barrierefreiheit des Unternehmens angesprochen wird. Das vermittelt nicht nur die Auseinandersetzung mit dem Thema, sondern auch eine Wertschätzung gegenüber diversen Bewerbungen.

Und ist es auch immer gut zu wissen, wie der Ablauf des Bewerbungsprozesses aussieht. Bis wann wird gesucht? Wie und wo finden die ersten Gespräche statt? Gibt es ein zweites Gespräch? Findet die Kommunikation per Mail, Telefon, Videocall statt?

Dazu gehört für mich auch eine ehrliche Rückmeldung, falls man sich gegen eine Bewerbung entscheidet, unabhängig davon, ob die z.B. Person eine Behinderung, Migrationsgeschichte hat oder nicht. Denn Inklusion bedeutet nichts anderes als Menschlichkeit. Daher stelle ich immer gerne die Frage: Würdest du diesen Satz auch einem sehr guten Freund schicken oder könnte er doch noch etwas persönlicher formuliert werden?

ZNAPP Bedankt sich für das tolle Interview.

Zur Person: Claire Common ist Inklusionstrainerin für inclusive Leadership und unterstützt Unternehmen dabei, die Potenziale ihrer Teams zu steigern. Zudem ist sie sozialpolitische Designerin eines inklusiven Modelabels mit dem Fokus auf Bekleidung, die Menschen im Rollstuhl und gleichzeitig Menschen ohne Mobilitätseinschränkung passen. Des Weiteren ist sie der 1. Vorstand eines inklusiven Vereins. Ihr Motto: Inklusion auf allen Ebenen, mit Empathie und Menschlichkeit. Werte, die auch wir bei ZNAPP teilen.

Website: https://clairecommon.de/

LinkedIn: www.linkedin.com/in/claire-common-354946199

Sarah Schlitt Social Media Managerin

Sarah Schlitt hat Politikwissenschaft und Kommunikationsmanagement studiert und betreut bei ZNAPP neben den Social-Media-Kanälen die interne und externe Kommunikation.

Kontakt: presse@znapp.de
Telefon: +49 69 348 784 824

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